Ein wenig verloren und fast zerbrechlich wirken die Körper der Teenager-Bodybuilder in einem Wald aus hellblauen Metallträgern, über Rollen geführten Stahlseilen und an Ketten befestigten Gewichten. Zugleich zeugen die noch jugendlichen Muskelpakete von konsequentem Training. Einen Kontrast dazu bildet der ältere Mann im Zentrum eines weiteren Fotos. Sein schlohweißes Haar, seine aufrechte Haltung und die Hose mit Bügelfalten verleihen ihm die Würde eines „Herrn“. In sich ruhend pumpt er eine Stange herunter (in „Kachalka“ steckt das ukrainische „Kachat“ für „pumpen“), die über einen Seilmechanismus mit schweren Eisenteilen verbunden ist. Sein Unterhemd lässt den Blick zu auf einen zwar gealterten, aber jahrzehntelang trainierten und immer noch muskulösen Oberkörper.
Die sechs Aufnahmen des 1974 in Odessa geborenen ukrainischen Fotokünstlers Kirill Golovchenko sind Teil einer kleinen Kunstausstellung im ILW Mainz. Inspiriert von dem Besuch einer fotografischen Schau Kirill Golovchenkos in Mainz, hat Manuel von Vultejus, Geschäftsführer des ILW Mainz, ausgewählte Fotos reproduzieren und vergrößern lassen. „Ich sehe in den Bildern einen doppelten Bezug zu unserer Ausbildungseinrichtung: Hier wie dort arbeiten Menschen mit dem Material Metall. Und die Fotos versinnbildlichen den Wert körperlicher Arbeit. Und außerdem fordern berufliche Ausbildung und Fitnesstraining gleichermaßen Leistungsbereitschaft, Ausdauer und den Ehrgeiz, sich ambitionierte Ziele zu setzen und zu erreichen.“
Die Geschichte hinter den Fotos ist die Geschichte des Fitnesscenters „Kachalka“ im Herzen Kiews. Ein Turner und ein Mathematikprofessor haben es Anfang der 70er Jahre gegründet als Angebot an alle, ihren Körper unter freiem Himmel zu trainieren. Das Material für die Trainingsapparate stammt aus dem Altmetall und wirkt streckenweise martialisch, so dass den Betrachter schon einmal die Frage beschleichen kann: „Fitness oder Folter“? Dass seit nunmehr über 40 Jahren Jung bis Alt in großer Zahl das mit 10.000 qm riesig dimensionierte Freichlicht-Fitnessstudio nutzen, spricht eher für „Fitness“. Und die kostet bis heute – nur den eigenen Schweiß.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ILW Mainz wollten Kunst nicht einfach nur aufhängen und anschauen, sondern den von Kirill Golovchenko angestoßenen künstlerischen Prozess aufnehmen und weiterführen. Dafür haben sie in der ILW-Werkstatt selbst metallene Rahmen für jedes Exponat gefertigt. Und sie im Dialog mit dem Künstler so gestaltet, dass die Fotos in ihnen zu schweben scheinen.
Kirill Golovchenko hat zunächst Fremdsprachen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz studiert. Daran schloss er ein Studium der Fotografie und des Design an der Hochschule Darmstadt an. Seine Fotografien wurden in Deutschland, aber auch in Frankreich, Norwegen, Spanien und den USA gezeigt. Der Künstler hat bereits zahlreiche renommierte Preise und Stipendien erhalten. Heute lebt und arbeitet Kirill Golovchenko in Mainz und freut sich darüber, dass die Rheinmetropole im vergangenen Jahr eine Partnerschaft mit seiner Geburtsstadt Odessa eingegangen ist.